Feqir-Badal
Êzîdîscher Widerstandskämpfer auf seinem Pferd in Shingal (Symbolbild aus 2015, ÊP)

In Deutschland leben heute Schätzungen zufolge etwa 80.000 bis 100.000 Êzîden. Die ersten wenigen, die sich in Deutschland niedergelassen hatten, kamen bereits als Gastarbeiter aus der Türkei in den 60er und 70er Jahren. In ihrer Heimat waren und sind die Êzîden ständiger gesellschaftlicher und teilweise institutioneller Diskriminierung ausgesetzt, so etwa in der Türkei.

Nachdem das türkische Militär sich im Jahr 1980 an die Macht putschte und der Krieg gegen die Kurden im Südosten des Landes auflammte, verschlechterte sich neben der gesellschaftlichen Ächtung auch die ohnehin instabile Sicherheitslage. Nach einem Gutachten des ehemaligen nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Dr. Herbert Schnoor und insbesondere des Orientalisten Prof. Dr. Dr. Gernot Wießner zum Stader Urteil, das die Êzîden als Gruppenverfolgte anerkannte, erhielten die Êzîden aus der Türkei schließlich das Recht auf Asyl. In der Folge migrierten nahezu alle der etwa 35.000 aus der Türkei stammenden Êzîden nach Deutschland.

Der wohl erste Êzîde jedoch betrat rund 125 Jahre vor den ersten Gastarbeitern deutschen Boden und sorgte mit seiner Ankunft gleich für Schlagzeilen in den Zeitungen.

Während des Russisch-Türkischen Krieges in den Jahren 1828 und 1829 brach eine êzîdîsche Fluchtwelle nach Transkaukasien aus. Viele große êzîdîsche Stämme waren gezwungen, aus ihrer Heimat zu flüchten und fanden anschließend Schutz unter russischer Herrschaft, die – im Gegensatz zum osmanischen Reich – keine Politik religiöser Diskriminierung auf die Êzîden anwandte.

Einer dieser Stämme war der Hassini-Stamm, der sich in Surmali, ehemals unter russischer Herrschaft und heute an der türkisch-armenischen Grenze liegend, niederließ. Der Stamm der Hassinis wurde unter den muslimischen Nachbarn als aufständischer und rebellischer Stamm gefürchtet. Ihr Stammesname leitet sich vom Begriff „Hasin“ für Eisen ab und bedeutet so viel wie „Die Eisernen“. So schlossen sich die Hassinis im Laufe des Krieges den russischen Streitkräften an und kämpften fortan auf der Seite der Russen gegen die osmanischen und kurdischen Truppen.

Marschall Iwan Paskewitsch (1782 – 1856)
Marschall Iwan Paskewitsch (1782 – 1856)

Ein russischer Beamter ließ dem Marschall Iwan Paskewitsch (1782 – 1856) am 15. September 1828 mitteilen: „Die Kämpfer des Hassini-Stammes zeigten ihre Loyalität und ihren Mut sehr eindrucksvoll: Sie gingen uns stets voraus und stationierten sich an vorderster Front.“ Dieselbe Beobachtung machte auch der berühmte russische Dichter Alexander Puschkin (1799 – 1837), der den Hassini-Stamm persönlich besuchte und sie für ihren Mut lobte.

Ein Reiter des Hassini-Stammes, der in der russischen Kavallerie kämpfte, schaffte es zu seltener Berühmtheit. Unter dem russischen Marschall Iwan Paskewitsch war der junge êzîdîsche Reiter im Gebiet des heutigen Polen stationiert. Als begnadeter, geschickter Reiter und mutiger Kämpfer wurde der Êzîde wegen seiner Reiterkünste 1835 als Gast von der preußischen Armee nach Berlin eingeladen. Und war damit der erste Êzîde, der erstmals Fuß auf deutschen Boden setzte. Mit seinen geschickten Reitkünsten beeindruckte er die Zuschauer und schaffte es damit in die Zeitungen.

Umso größer war die Freude seiner Stammesangehörigen, als sie 20 Jahre später vom deutschen Reisenden August von Haxthausen (1792 – 1866), der direkt aus Berlin kam, besucht wurden. Von Haxthausen selbst konnte sich vom Talent des jungen Êzîden überzeugen und beschrieb eines seiner Kunststücke:

„Er [der junge êzîdîsche Reiter, Anm. d. Red.] begleitete uns beim Abschied einer Strecke Wegs, und wir hatten dabei Gelegenheit, seine gewandten Reiterkünste bewundern zu können. Er legte z.B. etwa 20 Mützen ungefähr 40 – 50 Schritt auseinander in zwei Reihen, sodaß sein Pferd zwischen ihnen durchrennen mußte, und hob dann in voller Carrière erst rechts, dann links mit der Hand eine Mütze nach der anderen auf und warf sie in die Luft. Die Gewandtheit, mit der er sich bald rechts, bald links tief vom Pferde herabbückte und dann sich im Nu wieder ebenso auf die andere Seite warf, ohne herabzufallen und das Ziel, den Griff nach der Mütze, zu verfehlen, war bewunderungswürdig. Das in die Luft Werfen der 20 Mützen, eine nach der andern, zeigte uns jedesmal, daß es gelungen!“

Die nächsten Êzîden, die Deutschland betraten, waren Soldaten der Roten Armee in der Schlacht um Berlin.

© ÊzîdîPress, 27. Januar 2016