Teilnehmer der 2. GEA Konferenz | privat
Teilnehmer der 2. GEA Konferenz | privat

Bielefeld. Vom 04. bis 05. Oktober 2014 organisierte die Gesellschaft Ezidischer AkademikerInnen e.V. (GEA) ihre zweite internationale Konferenz mit dem Leitthema: „Eziden und das Ezidentum im Transformationsprozess: gestern, heute, morgen“. In den Räumen des Neuen Rathauses Bielefeld diskutierten renommierte Experten aus verschiedensten Bereichen über die Eziden und das Ezidentum. Auch Gäste aus der Politik sowie Aktivisten, Medienvertreter und Vorstände humanitärer Hilfsorganisationen waren geladen und bereicherten die Konferenz. Für die ezidische Gemeinschaft stellte die Konferenz eine Premiere dar: erstmals trafen sich international anerkannte Wissenschaftler und Forscher, von Eziden selbst initiiert, um über die Eziden und das Ezidentum zu tagen.

Mit einer Simultanübersetzung war es den Gästen der Konferenz zudem möglich, allen Vorträgen und Diskussionen zu folgen und sich einzubringen.

In die Konferenz führte der GEA Vorsitzende PD Dr. Sefik Tagay ein und erläuterte die Gründe, auch vor dem Hintergrund des Genozids an den Eziden an der Planung der Konferenz festzuhalten und einen Schwerpunkt auf die aktuellen Geschehnisse in Shingal zu setzen. „Soweit die Geschichte der Ezidinnen und Eziden sowie ihrer Religion durch historische Quellen erschlossen werden kann, ist sie eine Geschichte von systematischen Vernichtungsfeldzügen, Strafexpeditionen und religiöser, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entrechtung, Dehumanisierung und Marginalisierung“, so PD Dr. Sefik Tagay. Er machte zudem deutlich, wie stark historische Ereignisse Einfluss auf die Gesellschaft und ihre Denkweise nehmen können.

GEA Ehrenpreis für Prof. Dr. Gernot Wießner | privat
GEA Ehrenpreis für Prof. Dr. Gernot Wießner | privat

Mit einem Ehrenpreis für besondere Verdienste für die ezidische Gemeinschaft wurde posthum Prof. Dr. Gernot Wießner ausgezeichnet. Prof. Wießner war maßgeblich an der Feststellung und dem Gutachten zur Anerkennung des Asyls für Eziden in Deutschland beteiligt. Die GEA würdigte Prof. Wießner als einen „besonderen Freund der Eziden“. Frau Irina Wießner nahm den Preis für ihren verstorbenen Mann entgegen. Auch Dr. Herbert Schnoor, ehemaliger Innenminister Nordrein-Westfalens, wurde mit einem Ehrenpreis geehrt. Dr. Schnoor setzte sich in NRW zusammen mit Prof. Wießner für das Bleiberecht der Eziden ein und reiste 1989 zusammen mit einer Delegation in die Türkei, um sich selbst ein Bild von der Verfolgung der Eziden zu machen.

Tilman Zülich, Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker, verdeutlichte immer wieder die Notwendigkeit und Entschlossenheit, mit der gegen die humanitäre Katastrophe im Nahen Osten vorgegangen werden muss. Thorsten Klute, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, überbrachte den Gästen die Grüße der Landesregierung und stellte fest, wie wichtig eine Zusammenarbeit mit der ezidischen Gemeinschaft in Deutschland ist.

Der erste Konferenztag war vor allem wissenschaftlich geprägt. Vorträge bezüglich des Ezidentums von Prof. Dr. Kreyenbroek, Prof. Dr. Sebastian Maisel, Prof. Dr. Mirhan Dabag, Prof. Dr. Dr. Kizilhan und vielen weiteren ließen die Gäste das Ezidentum aus verschiedensten Perspektiven betrachten und interdisziplinär in größeren Zusammenhängen verstehen.

Prof. Dr. Kreyenbroek auf der GEA Konferenz | privat
Prof. Dr. Kreyenbroek auf der GEA Konferenz | privat

Prof. Kreyenbroek machte in seinem Vortrag mit dem Titel: „Die Eziden, Ahl-e Haqq und Zarathustra – Ein Vergleich“, Parallelen aber auch Unterschiede zwischen den Religionsgemeinschaften deutlich. Die Frage, ob die Eziden Zarathustrier sind, verneinte und verdeutlichte Prof. Kreyenborek anhand zweier Grafiken. Während das Ezidentum und die Ahl-e-Heqq Gemeinschaft klar westiranische Religionen darstellen und die, vermutlich gemeinsame, altiranische Ursprungsreligion fortgeführt haben, handelt es sich beim Zoroastrismus vor allem um eine ost-iranische Religionsgemeinschaft. Anhand der Mythologien der Religionsgemeinschaften zeigte Prof. Kreyenbroek, dass weder die Eziden Zoroastrier, noch die Zoroastrier Eziden sind oder das Ezidentum vom Zoroastrismus abstammt. In den vorwiegend kurdischen Gebieten war vor allem das Ezidentum vertreten.

Fortgesetzt wurde das Panel mit dem Vortrag von Prof. Dr. Dr. Ilhan Kizilhan, der auf die Geschichte der Eziden im Osmanischen Reich eingegangen ist. Aber auch, wie mit der Geschichte und den Massakern, an denen auch kurdische Muslime beteiligt waren, umgegangen werden muss. Prof. Kizilhan schätze die Zahl der während des Osmanischen Reiches ermordeten Eziden auf Grundlage der Auswertung türkischer Archive auf 1,5 bis 1,8 Millionen. Die Zahl der zwangskonvertierten Eziden auf 1,2 Millionen. Daher müsse der Fokus insbesondere auf die Aufarbeitung der Vergangenheit gelegt werden, auch um so aus der Opferrolle gestärkt herausgehen zu können. Dafür müsse tabulos über die Vergangenheit und die Gräueltaten an den Eziden gesprochen werden. Die Diskussionen und ihr Duktus, so Prof. Kizilhan, müssten aber auf die Aussöhnung bedacht sein. Nur so kann eine wirkliche Aufarbeitung und Versöhnung gelingen.

Bilder aus ezidischen Flüchtlingslagern | GEA Delegation
Bilder aus ezidischen Flüchtlingslagern | GEA Delegation

Es folgten Ausführungen von Prof. Dr. Mihran Dabag, einem Pionier und Experten der Genozid-Forschung, der auf die Frage nach der Identität und seines Transformationsprozesses in der Diaspora eingegangen ist. Es sei ein normaler Prozess, wenn die innere Ordnungsstruktur der Gesellschaft in Frage gestellt wird, so Prof. Dabag. Für die verschieden sozialisierten Exilgruppen der Eziden in Europa, den ehemaligen Sowjetstaaten und der Heimat bleibt das gemeinsame Schicksal sowie die religiöse Identifikation gemeinsamer Anknüpfungspunkt.

Im Anschluss an die Vorträge erhielten die Gäste die Möglichkeit, Fragen zu stellen, worauf die Referenten eingegangen sind. Mehrere Pausen mit einem gut organisierten Buffet und Getränke hielten die Konzentration aufrecht.

Der zweite Konferenztag stand im Schatten des Genozids an den Eziden in Shingal. Prominente Vertreter der ezidischen Gemeinschaft, wie etwa Dr. Mîrza Dinnayi, Dr. Saîd Shingali oder Dr. Ali Khalaf, berichteten über die aktuelle Lage und mögliche Zukunftsperspektiven. Die an die Berichte und Vorträge knüpfenden Diskussionen wurden verständlicherweise sehr emotional geführt.

Auch über die Situation der Eziden in Syrien diskutierten unter anderem Dr. Nikolaus Brauns, Feremez Kheribo und Cergin Nabo. Seit Beginn des Bürgerkrieges in Syrien sind mehrere tausend Eziden ins Ausland geflüchtet, sodass dort nur noch wenige hundert Eziden leben. Dr. Brauns stellte die Lage vor und während des Krieges dar.

Mit einem hochkomplexen aber ebenso interessanten Beitrag referierte der Philosoph Hosheng Broka über den ezidischen Pantheismus. Sein Beitrag zeigte, wie tiefsinnig die ezidische Philosophie ist und auch, dass sie einer kritischen philosophischen Auseinandersetzung standhalten kann.

Es folgte ein Panel über ezidische Medien, ihrer Rolle und Bedeutung für die Gesellschaft, ehe GEA Vorsitzender PD Dr. Sefik Tagay seine Danksagung an alle Beteiligten richtete und die Konferenz offizielle beendete.

Teilnehmer der GEA Konferenz | Bild: Birgit Ebel
Teilnehmer der GEA Konferenz | Bild: Birgit Ebel

Alle Vorträge der Referenten werden von der GEA in einem Band zusammengeführt und publiziert. Mit ihrer Konferenz bewies die GEA, dass die Eziden nach Jahrhunderten der Unterdrückung nun selbständig und auf wissenschaftlich höchsten Niveau damit beginnen, sich mit ihrer eigenen Geschichte, Religion und Gesellschaft auseinanderzusetzen. Die Zusammenführung renommierter Experten zeigte zudem, welch Potenzial auch innerhalb der ezidischen Gesellschaft geschöpft werden kann. Besonders erfreulich war die Anwesenheit der vielen Jugendlichen, die sich in den Diskussionen einbrachten und eines deutlich machten: Ein „freies ezidisches Bewusstsein“, so das Motto der GEA, wird vor allem für die zukünftigen Generation samt aller Problematiken getragen werden.

êzîdîPress, 10. Okt. 2014