Vergangenen Sonntag (23. Februar) haben sich zahlreiche êzîdîsche Vereine aus ganz Deutschland im êzîdîschen Gemeindehaus in Celle eingefunden, um über einen großen Dachverband zu diskutieren. Von 36 eingeladenen Vereinen waren 25 Vereinsvorstände anwesend (Namen s.u.). Von 12 Uhr mittags bis etwa 18:00 Uhr wurde fleißig diskutiert, wobei auch kontroverse Themen nicht ausgelassen wurden.

Treffen êzîdîscher Vereine am 23. Februar in Celle
Treffen êzîdîscher Vereine am 23. Februar in Celle

Während der Veranstaltung war vor allem die gemeinsame Hoffnung der Teilnehmer zu erkennen, endlich eine Einheit herbeizuführen. Die Moderatoren Loqman Bariş, Sekretär der Föderation Êzîdîscher Kurden (FÊK) und Kasim Oba, Vorstandsmitglied im Yezidischen Forum Oldenburg e.V. führten in die Veranstaltung ein und erläuterten Absicht und Zweck des Dachverbandes. Nach einigen Begrüßungsworten und einer Qewl Rezitation durch Sheikh Hisen Ulucan, gedachte man in einer Schweigeminute den Opfern der vergangenen Massaker an den Êzîden.

Viel Kritik musste die Föderation Êzîdîscher Kurden (FÊK) im Verlauf der Diskussionen hinnehmen. Kontrovers diskutiert wurde vor allem die Position der FÊK zur Thematik Zarathustra. Mehrere Vereinsvorstände forderten als Prämisse für den neuen Dachverband ein klares Bekenntnis der FÊK sich vom Zarathustra-Kult zu distanzieren. Die drei anwesenden Föderationsvorstandsmitglieder Feleknas Uca, Zerdesht Günay und Loqman Bariş haben jedoch von einem klaren Ja oder Nein abgesehen.

Auch Mîr Tahsîn Beg, der aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend sein konnte, ließ mitteilen, dass die Thematik Zarathustra geklärt werden müsse. Mîr Tahsîn war es auch, der vor über einem Jahr die bisherigen Dachverbandsvorsitzenden Telim Tolan und Feleknas Uca zum Dialog aufgerufen hat (siehe Interview im Lalish-Dialog).

Das weitere Bestehen der bisherigen Dachverbände war ebenfalls Thema. Sowohl der Zentralrat der Yeziden (ZYD) in Deutschland unter Führung von Telim Tolan als auch die Föderationsvorsitzende Frau Feleknas Uca bestanden auf ein Fortbestehen der einzelnen Verbände. Diese sollten jedoch dem neuen Dachverband untergeordnet werden. Möglich wäre eine Bindung von wesentlichen Angelegenheiten an den neuen Dachverband, die nur in dessen Zuständigkeitsbereich fallen.

Die Fragen der unabhängigen Vereine wurden nicht ausreichend beantwortet. Diese sollen jedoch vom Gründungskomitee aufgegriffen und vertieft diskutiert werden.

Als weitere Voraussetzung für den Dachverband war die Anerkennung der grundsätzlichen Glaubensgrundsätze der êzîdîschen Religion. In diesem Punkt waren sich alle Anwesenden einig. Ebenso müsse als weltliches und religiöses Oberhaupt der Mîr bzw. der Bavê Sheikh akzeptiert werden sowie der Geistige Rat (kurd. Civata Ruhanî) im Gesamten als höherrangiges Gremium. Die Beschlüsse des Geistigen Rates sollen dann für den Dachverband verbindlich sein.

Das Gründungskomitee setzt sich aus jeweils einem Vertreter der anwesenden Vereine zusammen. Der spätere Vorstand, so ein Vorschlag der Initiatoren, soll aus 11 Mitglieder bestehen, der mit 75%iger Mehrheit der Stimme der Mitglieder beschlussfähig sein soll. So soll verhindert werden, dass einer der bisherigen Dachverbände Beschlüsse ohne die Zustimmung anderer Mitglieder verabschiedet.

Treffen êzîdîscher Vereine am 23. Februar in Celle
Treffen êzîdîscher Vereine am 23. Februar in Celle

Folgende êzîdîsche Vereine waren am 23. Februar in Celle anwesend: Y.Ê.S (Yezidi European Society) aus Bielfeld, Hevbendiya Êzîdiyên Sûriyê, Siegen, Sulingen, Wesel, Osterholz-Scharmbeck, Oldenburg, Nienburg zweimal, der Zentralrat der Yeziden in Deutschland, Leer, Komela Kaniya Sipî, Hameln, Kalkar, Hessen, Heidekreis, Föderation Êzîdîscher Kurden, Celle, Saarland, Emmerich, Delmenhorst, Augsburg, Çanda Êzîdiyen Bremen, Bielefeld Komela Êzîdiyan und Yekîtiya Ciwanên Essen

Ereignisse vor dem Treffen in Celle

Dem Treffen sind einige Ereignisse vorausgegangen, die erwähnenswert und kritikwürdig sind und zugleich auch die Komplexität dieser Dachverbandsgründung zu erkennen geben. Bis zum Bekanntwerden dieser Dachverbandsgründung gab es innerhalb der êzîdîschen Gemeinschaft keine derartige Bestrebung. Obwohl alle êzîdîschen Vereine in Deutschland seitens der Veranstalter (FÊK und ZYD) eingeladen wurden, um wenigstens gemeinsam zu diskutieren, herrschte unter den Êzîden aus Südkurdistan (Nord-Irak) eine gewisse Spannung. So kam es dann, dass einzelne Personen und Vereinsvorsitzende aus Südkurdistan und teilweise aus Westkurdistan (Syrien) in konspirativen Vereinbarungen und einem geheimen Treffen am 15. Februar in Hannover auf eigene Faust und unter Ausschluss der übrigen êzîdîschen Vereine in Deutschland einen neuen „Dachverband“ gegründet hatten, um dem gemeinsamen Treffen am 23. Februar zuvor zu kommen.

Federführend war Sivo Silêman, Sohn des Oberhauptes der Qewals Qewal Silêman, der Vereine und Einzelpersonen aus Südkurdistan und teilweise aus Westkurdistan um sich versammelte und in einem Schnellverfahren diesen neuen „Dachverband“ zu gründen (siehe Video). Anwesend waren auch der Vorsitzende der Ezidischen Akademie e.V. Khatab Omar, der sich offen für die Missionierung der êzîdîschen Religion ausspricht sowie Merwan Babiri, der bekannte Gebetsrezitator als auch Dilshad Joki vom Verein Bingeha Laliş. Nach Angaben von Sivo Silêman waren 17 Vereine anwesend (Namen unbekannt). Einige dieser Vereine sind nicht im Vereinsregister eingetragen und unbekannt. Es scheint daher es als würden diese Vereine gekünstelt und fiktiv sein. Andere Vereinsvorstände wiederum haben das Treffen jedoch aufgrund von Differenzen vorzeitig verlassen. Grund hierfür soll das übereilte Beschließen einer Satzung gewesen sein, welche noch am selben Tag mehrfach notdürftig abgeändert wurde. Der neue „Präsident“ Sivo Silêman schloss andere êzîdîsche Vereine bewusst aus. Die Beweggründe sind wie immer dieselben: es geht um Führungsansprüche, um Differenzen zwischen den Êzîden aus Nordkurdistan (Türkei) und aus Südkurdistan (Nord-Irak) sowie dem fehlenden Einheitsverständnis.

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Alle êzîdîschen Vereine in Celle bedauerten diesen Schritt, verurteilten ihn jedoch nicht und hoffen weiterhin, dass die Êzîden aus Südkurdistan sich im Gründungskomitee beteiligen werden. Hierfür wird das Komitee mit Sivo Silêman und seiner Gruppe den Dialog suchen. Dennoch war ein Verein der Êzîden aus Südkurdistan (Augsburg) unter den 25 in Celle anwesend.

Kurz vor dem Treffen in Celle haben zwei Vereine ihre Mitgliedschaft im Zentralrat der Êzîden aufgegeben. Zum einen Bingeha Laliş (Lalish Zentrum) mit Sitz im Bielefeld, zum anderen der Verein in Kalkar, vertreten durch Osman Güden.

Bingeha Laliş in Bielefeld ist eine von vielen Zweigstellen der größten êzîdîschen Vereinigung, die direkt der Demokratischen Partei Kurdistans (PDK) untersteht und in der PDK ihre finanzielle Basis hat. Der Vorsitzende von Bingeha Lalish in Südkurdistan, Sheikh Shamo, kandidierte erfolglos bei den letzten Parlamentswahlen für die PDK. Seinen Platz musste er aufgrund der Frauenquote räumen. Im neuen kurdischen Parlament ist kein Êzîdî vertreten. Als Entschädigung baut die PDK seiner Vereinigung Bingeha Laliş ein neues Gebäude in der kurdischen Stadt Duhok. Bingeha Laliş, ein kultureller und sozialer Verein der wichtige Funktionen innerhalb der êzîdîschen Gemeinde in Südkurdistan und in Shingal erfüllt, veröffentlichte die Erklärung unter anderem auf der Facebook Seite der PDK-Zweigstelle in NRW.

Dilshad Joki, Vorstandsmitglied von Bingeha Lalish in Bielefeld, war ebenfalls bei dem konspirativen Treffen am 15. Februar in Hannover anwesend, gleich ob Bingeha Lalish erklärte, man wolle sich „unparteiisch“ verhalten. Bingeha Lalish erfüllt im sozialen Bereich wichtige Funktionen, die politische Facette jedoch ist zu kritisieren.

Zwei Tage vor dem Treffen in Celle sagte überraschenderweise die Gesellschaft Ezidischer AkademikerInnen (GEA) in einer Erklärung ihre Teilnahme an der Veranstaltung ab. Zur Begründung hieß es, man sei kein „Verein“, sondern eine Gesellschaft. Auch wolle man sich nicht „parteiisch“ verhalten. Die Abwesenheit von Mîr Tahsîn wurde ebenfalls als Begründung angegeben. Die GEA definierte auf einer Vorstandsitzung am 01. Februar ihre Rolle neu und möchte sich in Zukunft verstärkt im Forschungs- und Bildungsbereich einsetzen. Sivo Silêman, der wie erwähnt federführend für das Treffen am 15. Februar in Hannover war, ist Vorstandsmitglied der GEA sowie Shivan Sheikh Alo als auch Hasun Cehwer, ebenfalls Vorstandmitglieder der GEA und am 15. Februar anwesend. Hasun Cehwer äußerte sich jedoch im Anschluss mit dem Verlauf des Treffens sehr unzufrieden.

Über diese Vorgänge äußerten die Vereine in Celle ihr bedauern, war dieses Treffen doch in erster Linie dazu gedacht, endlich eine Einigung aller Êzîden herbeizuführen, ohne dabei jegliche Souveränität von Vereinen anzugreifen. Es sollte lediglich diskutiert werden ob und wie ein gemeinsamer Dachverband gegründet werden kann. Mîr Tahsîn Beg, der aus gesundheitlichen Gründen nicht teilnehmen konnte, äußerte seine Unzufriedenheit mit den Vereinen, die diesem Treffen ferngeblieben sind.  Beim nächsten Treffen wolle er anwesend sein.

êzîdîPress, 25.02.14