WiderstandsKämpferInSherfedin
Widerstandskämpfer der Êzîden an der Pilgerstätte Sherfedîn in Shingal

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[S]hingal. Die erneute Offensive der  Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in der Region Shingal hält weiter an. Gestern drangen IS-Terroristen im westlichen Bereich des Gebirges nahe Kursi ein, woraufhin es zu schweren Gefechten mit den Widerstandskämpfern kam. Der Versuch des IS: nach Osten vorzudringen und die Pilgerstätte sowie die Zivilisten im Gebirge zu erreichen. Nördlich der Pilgerstätte formierten sich IS-Einheiten immer wieder von neuem, sporadische Gefechte verteilten sich über den gesamten Tag hinweg.

Außer der Pilgerstätte Sherfedîn und weiten Teile des Gebirges steht die Region weiterhin fest unter dem Griff des IS-Terrors. Seit der Offensive am vergangenen Montag haben die Widerstandseinheiten Stellungen in den Dörfern bzw. Gemeinden Solakh, Mehirkan, Bara, Shlo, Sikeniyê, Duhola und Borik verloren. In Sikeniyê kam gestern der Kommandeur Sheikh Kheri bei einem Mörserangriff ums Leben. Er galt als einer der wichtigsten Führer der Verteidigungseinheit Shingals (HPŞ).

Unklarheit herrschte darüber, ob gestern Luftschläge der Koalitionsstreitkräfte erfolgten. Kämpfer an der Pilgerstätte Sherfedîn am nördlichen Gebirgshang verneinten, während Augenzeugen Luftschläge südlich des Gebirges meldeten. Bei den Luftschlägen soll ein großer IS-Konvoi zerstört und dutzende Terroristen getötet worden sein. Eine offizielle Bestätigung der Koalitionsstreitkräfte liegt bisher nicht vor, es wird jedoch vermutet, dass der Angriff von der irakischen Luftwaffe erfolgte.

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Gegenwärtiger Belagerungsring der IS-Terroristen (Stand: 23.10.2014, 12:15 Uhr)

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Das Gebirge sowie die Pilgerstätte sind nach wie vor von allen Seiten belagert. Die Widerstandskämpfer beklagen fehlende, ernsthafte Unterstützung, auch gehe ihnen die Munition aus. Dass dies keine bloßen Behauptungen sind, musste mit dem gestrigen Verlust des Kommandanten Sheik Kheri schmerzlichst erfahren werden. Nach stundenlangen Gefechten in Sikeniyê ist der Einheit die Munition ausgegangen, es folgte eine regelrechte Jagd der IS-Terroristen, als die Einheit den Rückzug begann.

Kommandeuren der verschiedensten Einheiten zufolgen sind seit der Offensive des IS in Shingal, binnen drei Tage über 200 Terroristen getötet worden. Auf Seiten der Widerstandseinheiten sind bis zu 50 Kämpfer gefallen. Weitere 80 IS-Terroristen sollen festgenommen worden sein. Für einen notwendigen Befreiungsschlag fehlt es nach wie vor an schweren Waffen. Da die Landwege blockiert sind, ist ein Transport nur über Luft möglich. Diese erfolgen aber nur selten und sind nicht umfangreich. Zudem brauche es den Kämpfer zufolge Luftschläge gegen Stellungen der Terroristen etwa in Duhola und Borik, die nur wenige Kilometer nördlich der Pilgerstätte Sherfedin liegen. Dort forciert sich die Terrormiliz immer wieder, um dann Angriffe auf die Pilgerstätte zu starten.

Im Gebirge selbst harren weiterhin etwa 7.000 Zivilisten aus. Verwandte und Angehörige der Zivilisten demonstrierten auch gestern wieder in den südkurdischen Städten, wo sie in Flüchtlingslagern untergekommen sind. Erneut kam es dabei zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften, fünf Personen sollen verletzt und mehrere festgenommen worden sein, berichtet ein Angehöriger vor Ort.

Nach 11 Wochen Belagerung ist es in Shingal noch immer zu keiner ernsthaften Intervention der kurdischen Peshmerga-Armee gekommen, die seit Wochen eine Offensive angekündigt hatten. In den vergangenen drei Wochen wurde erbittert um den Versorgungskorridor von der Pilgerstätte Sherfedin zur syrischen Grenze im Norden gekämpft. Klar war zu diesem Zeitpunkt, dass ein Verlust der Versorgungsroute erhebliche Probleme und eine weitere Verschärfung der Gesamtsituation in Shingal mit sich bringen wird. Wenige Kilometer in Rabia stationierte Peshmerga-Einheiten, die von der Volksverteidigungseinheit der YPG und der Goldenen Division der irakischen Streitkräfte unterstützt werden, griffen dennoch nicht ein. Wenige Tage zuvor kündigte Masrour Barzanî, Peshmerga-Befehlshaber und Sohn des Präsidenten Mesûd Barzanî, großspurig an, alles für die Verteidigung der Êzîden zu unternehmen und in Shingal einzumarschieren.

Ohne die Peshmerga werden die Êzîden weder in der Lage sein, das belagerte Gebirge und die Pilgerstätte lange zu halten, noch die Region vom IS-Terror zu befreien. Den Großoffensiven der IS-Terroristen haben sie kaum etwas entgegenzusetzen, wie die vergangenen Offensiven gezeigt haben. Vor allem die gepanzerten Fahrzeuge des IS haben die Verteidigungseinheiten in den vergangenen Tagen fast vollständig ins Gebirge zurückgedrängt. Die Widerstandskämpfer daher der „Gnade“ der Terroristen zu überlassen oder darauf zu spekulieren, der IS forciere seine Kräfte an anderen Fronten, sind daher grob fahrlässig. Behauptungen, wonach eine weitere große YPG-Einheit mit 700 Mann Stärke in Shingal eingetroffen sei, entsprechen nicht der Wahrheit. Die blockierten Langwege erlauben nur einen Transport über den Luftweg.

Der heutige Morgen an der Pilgerstätte Sherfedîn begann ruhig. Es liegen jedoch Informationen vor, wonach weitere IS-Einheiten von Tel Afar aus in Richtung des Gebirge marschieren. Auch für heute werden daher schwere Gefechte erwartet, bedroht sind vor allem die Zivilisten im Gebirge.

êzîdîPress, 23. Okt. 2014