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Shingal. Der Oberkommandant der Verteidigungseinheit Shingals (HPŞ), Heydar Shesho, hat in Anwesenheit êzîdîscher Kommandeure und Würdenträgern Stellung zur Zukunft der Region Shingal bezogen. In seiner Ansprache machte Oberkommandant Shesho unter anderem deutlich, dass ein Shingal „ohne êzîdîsche Identität nicht akzeptiert werden kann“, gleich welche Partei oder Organisation in Shingal zukünftig tätig sein wird. Dies gelte auch für die kurdische Regierung. Zugleich sei dies die Bedingung für alle Parteien und Kräfte, die in Shingal wirken möchten.

„Wir sind keine Feinde irgendeiner Partei. Wir versperren niemandem den Weg. Es gibt aber Bestimmungen, die akzeptiert werden müssen“, erklärte Oberkommandeur Shesho bezüglich der künftigen Betätigung von Parteien in Shingal. Denn jene Parteien, die Schuld an der gegenwärtigen Situation in Shingal sind, haben in der Vergangenheit die Interessen der Êzîden unbeachtet gelassen und sich nicht um die Belange der Menschen gekümmert. Die gegenwärtige Situation in Shingal sei diesem Umstand geschuldet. Jene Voraussetzungen werden auch für êzîdîsche Parteien und Organisationen gelten.

Oberkommandeur der HPŞ, Heydar Sheso
Oberkommandeur der HPŞ
Heydar Sheso | © êzîdîPress

Auch über die versprochene, aber zaghafte und bisher kaum erfolgte Hilfe der kurdischen Regierung äußerte sich Shesho. Er sieht den Grund für die Haltung der kurdischen Verantwortlichen darin begründet, dass die Êzîden in Shingal, insbesondere die Verteidigungseinheit HPŞ sowie die Widerstandseinheit Shingals YBŞ, nicht bereit sind, sich den Autoritäten der kurdischen Politik zu unterwerfen. „Alle haben uns kontaktiert und versprochen, den Êzîden uneingeschränkte Hilfe zukommen zu lassen. Nun wollen sie uns dazu verpflichten, uns ihnen unterzuordnen. Weil wir es nicht tun, helfen sie uns auch nicht ernsthaft“, moniert Shesho. „Dies ist eine Wahrheit, worüber offen gesprochen werden muss“, dabei dürfen die Êzîden „keine Angst“ haben, wenn sie ihre Meinung kundtun.

Weiterhin liege die Zukunft Shingals im Zusammenwirken der Gesamtheit der êzîdîschen Gemeinschaft, nicht aber an einer Einzelperson alleine. Êzîdîsche Würdenträger, Stammesführer sowie Politiker und Aktivisten müssen sich zusammensetzen und ein Parlament bilden, indem Konzepte für die Zukunft Shingals erarbeitet werden: „Wenn etwas in die falsche Richtung läuft, dann müssen diese Fehler kritisiert und Lösungen für die Probleme gefunden werden. Unabhängig von persönlichen Meinungen und Interessen“, so Shesho weiter. Niemand dürfe daher einen verbindlichen Beschluss fassen, ohne die Zustimmung der breiten Mehrheit der êzîdîschen Vertreter: „Nur wenn ein Beschluss die Mehrheit an Stimmen hat, im Interesse Shingals liegt und dem Gemeininteresse der êzîdîschen Gemeinschaft dient, kann und sollte er gefasst werden“.

Kurzfristig sei die Befreiung Shingals und die Rückkehr der Êzîden von höchster Priorität. Oberkommandeur Shesho fordert zudem eine strafrechtliche Untersuchung der Geschehnisse in Shingal sowie eine Bestrafung jener muslimischen Kurden, die in Shingal anfänglich mit dem IS kooperierten, sich dann in die kurdischen Städte Duhok und Erbil begeben haben und den Êzîden bekannt sind. Sicherheitskräfte Kurdistans und die kurdische Justiz seien dazu aufgerufen, diesen Verbrechen nachzugehen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen: „In Kurdistan darf kein Platz für Verbrecher sein, wo sie sich frei bewegen können“.

Wappen der HPŞ
Wappen der HPŞ

Heydar Shesho ist ehemaliger irakischer Parlamentsabgeordneter und Mitglied des Zentralkomitees der Nationalen Union Kurdistans. Eine Woche vor dem Ansturm der IS-Terroristen wies Oberkommandeur Shesho auf die Gefahr für die Region Shingal hin, nachdem tausende Christen aus Mosul vertrieben und êzîdîsche Ortschaften an den Grenzen der Region Shingal immer wieder angegriffen wurden. Weitere Verantwortliche der Êzîden, wie etwa Salim Al-Rashidani, erkannten die „Gleichgültigkeit der kurdischen Peshmerga-Armee hinsichtlich der bedrohlichen Situation der Eziden“ ebenfalls wenige Tage vor dem Ansturm der IS-Terroristen auf Shingal, wie er in einem Interview mit AraNews am 28. Juli mitteilte. Einen Tag zuvor, am 27. Juli 2014, drohte der IS öffentlich damit, die Region Shingal angreifen zu wollen. Verantwortliche Peshmerga-Kommandeure hätten auf diese Drohungen jedoch nicht reagiert und ihre Pflicht vernachlässigt. Die Êzîden sahen daher die Notwendigkeit, eine êzîdîsche Bürgerwehr aufzubauen, um „ihre Heimat zu verteidigen“, warnte Oberkommandeur Heydar Shesho im selben Interview mit AraNews.

Die Aussagen der êzîdîschen Kommandeure decken sich mit den Anschuldigungen kurdischer Goran-Politiker, die im kurdischen Parlament zuvor eindringlich vor der Gefahr, die von den IS-Terroristen für Shingal ausgeht, gewarnt hatten aber nicht ernst genommen wurden.

Diese Untätigkeit gegenüber der realen und gegenwärtigen Bedrohung der Region Shingal und der Menschen ist der Grund dafür, weshalb dieselben Verantwortlichen von den Êzîden in Shingal nicht akzeptiert werden.

Unterdessen haben êzîdîsche Intellektuelle, darunter auch das weltliche Oberhaupt der Êzîden, Mîr Tahsîn Saîd Alî Beg, in einer Erklärung einen autonomen Status der Region Shingal gefordert.

êzîdîPress, 16. Okt. 2014