Êzîdîsche Flüchtlinge aus Shingal
Êzîdîsche Flüchtlinge aus Shingal

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Shingal. Êzîdîsche Widerstandskämpfer berichten in einem Telefongespräch mit êzîdîPress-Redakteuren, dass Terroristen des Islamischen Staates (IS) das Gebirge in Shingal erneut umstellt und tausende Menschen bedrohen. Über 7.000 Menschen seien im Gebirge verblieben, weil sie ihre Heimat und Dörfer nicht verlassen wollten. Geschützt werden diese bisher von den Verteidigungsstreitkräften in Shingal, die sich aufgrund einer Offensive des IS aber nun selbst in das Gebirge zurückziehen mussten.

„Die Situation ist sehr schlecht. Den Menschen im Gebirge droht ein weiteres Massaker, wenn uns nicht endlich ernsthaft geholfen wird“, erklärte ein Kämpfer der êzîdîschen Verteidigungseinheit HPŞ. Eine von den Peshmerga und dem Präsidenten der südkurdischen Regierung Mesûd Barzanî angekündigte Offensive zur Untersützung der Êzîden in Shingal sei noch immer nicht angelaufen. Offenbar, weil man die Êzîden damit zu politischen Zugeständnissen drängen möchte. In einer Versammlung an der Pilgerstätte Sherfedîn von Kommandeuren und Stammesführern, beschlossen die Êzîden vor über einer Woche, dass Shingal zukünftig alleine von Êzîden verwaltet werden soll, ohne dass eine politische Partei die Zukunft der Êzîden und der Region bestimmt. Eine Partizipation der Parteien wurde jedoch ausdrücklich nicht untersagt.

Insbesondere der kurdische Regierungspartei PDK scheinen die Beschlüsse ein Dorn im Auge zu sein. In der Vergangenheit versuchte sie immer wieder die politische Oberhoheit in Shingal zu erlangen, sträubte sich aber in die umstrittene Region zu investieren, wenn es etwa um Fragen der Infrastruktur und Bildung ging. Widerstandskämpfer und Kommandeure der Êzîden in Shingal erheben daher schwere Vorwürfe gegen die PDK-Führung:

„Die Peshmerga wollen uns nicht helfen, weil wir uns weigern, unsere HPŞ-Einheit ihnen zu unterstellen und unsere Kommandanten sich weigern PDK-Mitglieder zu werden. Wir sind von IS-Kämpfern umzingelt und die Peshmerga-Truppen wollen einfach nicht einmarschieren, um uns zu helfen. Êzîdîsche Freiwillige, die sich uns anschließen möchten, können nicht zu uns gelangen, weil alle Wege vom IS blockiert sind. Den Menschen im Gebirge und uns geht vor allem das Wasser aus. Auch an Nahrung mangelt es wieder. Viele bekommen am Tag nur ein Stück Brot und Tomatenpaste“, berichtet ein Kämpfer der HPŞ Einheit.

Wappen der Verteidigungseinheit Shingal (HPŞ)
Wappen der Verteidigungseinheit Shingal (HPŞ)

Die Verteidigungseinheit HPŞ ist die bisher größte êzîdîsche Widerstandseinheit in Shingal. Ihr General, Qasim Shesho, wird in den kurdischen, PDK-nahen Medien oft als „Peshmerga-Offizier“ bezeichnet, was er in einem Interview mit Rûdaw aber zurückwies. Der Oberkommandeur der HPŞ Heydar Shesho erklärte zudem, dass die Êzîden sich niemandem unterwerfen würden, was der Grund für die aktuelle Situation in Shingal gewesen ist. Rund 10.000 Peshmerga-Soldaten zogen sich am 3. August kampflos zurück, als IS-Terroristen die Region überrannten. Zuvor entwaffneten sie die Êzîden und versprachen ihnen, sich um ihre Sicherheit zu kümmern. Daraufhin formierten sich die Êzîden, unter ihnen die heutige HPŞ, um sich selbst zu verteidigen.

„Sie lügen uns alle an! Und sie lügen in den Medien über uns. Sie wollen uns nicht helfen, weil wir ihnen die HPŞ nicht unterstellen möchten“, erklärt ein weiterer Kämpfer der HPŞ in ernstem Ton.

So wird, trotz dem Genozid und der Gefahr weiterer Massaker, in Shingal um politischen Einfluss gestritten. Oberkommandant Heydar Shesho erklärte in einer Mitteilung: „Shingal steht allen politischen Parteien, vor allem den kurdischen, zur Betätigung offen. Aber wir werden uns niemandem unterwerfen. Alles was in Shingal geschieht, muss im Interesse der Êzîden sein“. Waffenlieferungen per Helikopter erfolgen vor allem an die wenigen dutzend Peshmerga-Soldaten im Gebirge.

Die PDK-Führung befürchtet, dass sich der Einfluss der YPG bzw. der PKK in Shingal aufgrund der Geschehnisse und ihrer Hilfe für die Êzîden verstärkt und versucht dem nun entgegenzuwirken. Im Interview mit Rûdaw erklärte General Qasim Shesho zudem: „Die Bedeutung des Namen Peshmerga ist heilig. Sie haben den Namen entehrt, als sie geflüchtet sind. Alle Parteien sind in Shingal willkommen, sobald die Region befreit ist. Wir sind keine Feinde irgendeiner Partei.“

êzîdîPress, 13. Okt. 2014