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[S]hingal. Der Fall des am vergangenen Montagabend von kurdischen Sicherheitskräften verhafteten êzîdîschen Oberkommandeurs Heydar Shesho beschäftigt nun auch die deutschen Behörden. Der Pressesprecher der Verteidigungskraft Shingals [HPŞ] erklärte heute gegenüber ÊzîdîPress, dass man das Auswärtige Amt über die Verhaftung informiert hat. Nun wird sich das deutsche Konsulat in Erbil der Sache annehmen und die kurdische Regierung nach den Gründen der Verhaftung befragen. Heydar Shesho ist deutscher Staatsbürger.

Heydar Shesho, Oberkommandeur der Verteidigungskraft Shingals HPŞ, wurde auf offizielle Anordnung der kurdischen Regierung hin in seinem Anwesen in Khanke, nahe der Provinz Duhok, verhaftet. Ihm wird die Gründung einer „illegitimen Miliz“ vorgeworfen, wie die Regierung in einer öffentlichen Erklärung verlautbaren ließ. Heydar Shesho habe mit der Gründung der HPŞ gegen geltendes Recht der Autonomen Region Kurdistan verstoßen, lautet der Vorwurf. Er soll einem Gericht vorgeführt werden.

Die Verhaftung des Oberkommandeurs löste unter den Êzîden heftige Proteste aus. In der kurdischen Stadt Silemaniya und auch in Deutschland demonstrierten Êzîden bereits gegen das Vorgehen der kurdischen Regierung. Die Verhaftung selbst ist dabei rechtswidrig: Die HPŞ ist vom irakischen Staat als Teilstreitkraft, im Rahmen der Bewaffnung von Bürgermilizen im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) im Irak, offiziell von der Regierung anerkannt worden. Die Vereinbarung zur Bewaffnung solcher Bürgerwehren unterzeichnete auch die kurdische Regierung mit.

Zudem gehört das Operationsgebiet der HPŞ, Shingal, das Hauptsiedlungsgebiet der Êzîden im Nord-Irak, trotz des umstrittenen Status nach Art. 140 der irakischen Verfassung und des Anspruches der kurdischen Autonomieregierung, offiziell weiterhin zum irakischen Staatsterritorium. Die kurdische Regierung bewegt sich daher mit der Begründung zur Verhaftung von Heydar Shesho außerhalb ihrer rechtlichen Befugnisse. Der HPŞ-Kommandeur Dawid Cindi erklärte, dass die Verhaftung des Oberkommandeurs politisch motiviert sei.

Oberkommandeur der HPŞ Heydar Shesho (re.)
Oberkommandeur der HPŞ Heydar Shesho (re.)

Nachdem die Truppen der Peshmerga bzw. der kurdischen Autonomieregierung samt schwerer Waffen am 3. August 2014 aus der Shingal-Region davonrannten, ermöglichten sie einen Völkermord der Terrormiliz IS an der êzîdîschen Bevölkerung. Mitte Juni flüchteten bereits die in Shingal stationierten irakischen Sicherheitskräfte, als der IS die Metropole Mosul überfiel. Êzîdîsche Freiwillige bewaffneten sich schließlich, um sich gegen weitere Massaker zu schützen. Unter anderem Heydar Shesho gründete daraufhin die Verteidigungskraft Shingal HPŞ, der derzeit 3.000 Kämpfer unterstehen. Dieselbe Einheit sollte bereits vor dem Völkermord gegründet werden, was die kurdische Regierung jedoch unter dem Verweis, dass die Peshmerga für den Schutz der Êzîden garantieren, abgelehnt hatte.

Die kurdische Regierung jedoch war nicht bereit, die êzîdîsche Einheit zu unterstützen und verweigerte wochenlang die Lieferung von Waffen. Grund hierfür war die Unabhängigkeit der êzîdîschen Einheit. Die Êzîden selbst hatten kein Vertrauen mehr in die Truppen der kurdischen Regierung und unterwarfen sich daher nicht dem Peshmerga-Ministerium. Die Regierung verlor in dem Gebiet massiv an Einfluss, den sie nun versucht zurückzugewinnen. Lediglich durch die Interventionen von Qasim Shesho bei der kurdischen Regierung, konnte die Einheit einige Waffen beziehen und sowohl sich als auch die Menschen im Gebirge verteidigen. Die zweite Verteidigungseinheit der Êzîden in Shingal, die Widerstandseinheit Shingals, wurde von Kämpfer der PKK und YPG unterstützt und ausgerüstet.

Die deutsche Bundesregierung hat der Peschmerga Waffen geliefert und diesen Bruch mit ihrem außenpolitischen Grundsätzen, keine Waffen in Krisengebiete zu liefern, vor allem damit begründet, dem Völkermord an den Eziden nicht „tatenlos zuzusehen“, so SPD-Chef Gabriel im August 2014. Diese Waffen allerdings erhalten die êzîdîschen Widerstandskämpfer jedoch nur dann, wenn sie sich der PDK-Parteimiliz der kurdischen Regierung unterwerfen, wie Heydar Shesho und das Peshmerga-Ministerium selbst immer wieder erklärten.

Die Verweigerung der Hilfeleistungen von der kurdischen Regierung veranlassten Heydar Shesho schließlich dazu, die irakische Regierung um Hilfe zu bitten. Der irakische Ministerpräsident Haidar Al-Abadi kam der Bitte schließlich nach und ließ die HPŞ-Einheit als êzîdîsche Einheit für die Region Shingal registrieren. Um diesen Schritt in Einklang mit dem irakischen Recht zu bringen, wurde die HPŞ pro forma den schiitischen Milizen der Hashd al-Shabi zugerechnet. Die HPŞ unterhält jedoch weder Kontakt mit den schiitischen Milizen, noch unterstützen die beiden Einheiten sich, wie HPŞ-Kommandeur Dawid Cindî weiter erklärte: „Unsere Einheit hat nichts mit der Heshd al-Shabi zutun, davon kann sich jeder überzeugen. Es besteht weder ein Austausch noch sonst jeglicher Kontakt. Wir sind bei der irakischen Zentralregierung registriert, alles andere ist juristische Formalität.“

Mit der Verhaftung erhofft sich die kurdische Regierung den Druck auf die êzîdîsche HPŞ-Einheit zu verstärken und bringt dabei die Êzîden gegen sich auf. Über 130 êzîdîsche Demonstranten, Aktivisten und einige Widerstandskämpfer der HPŞ wurden bereits verhaftet. Drei Aktivisten flohen aufgrund von Morddrohungen aus Regierungskreisen aus dem Land.

Heydar Shesho ist ehemaliger Abgeordneter der Kurdistan Allianz im irakischen Parlament und inaktives Mitglied der Patriotischen Union Kurdistans (PUK).

© ÊzîdîPress, 7. April 2015