Genocide

Heute vor 99 Jahren am 24. April 1915 begannen die Türken damit, die armenische Elite in den türkischen Städten gezielt zu internieren und zu töten. Es war der Beginn eines Völkermordes, um die alte Ordnung des Osmanischen Reiches wiederherzustellen, wie es oft unter den Jungtürken hieß. Hierzu gehörte auch, dass man die ohnehin ungewünschten nicht-muslimische Minderheiten wie Aleviten, Êzîden und andere christliche Minderheiten gleich mit deportierte und massakriert. Die Jungtürken nutzten diese Gelegenheit, um auch mit den Êzîden abzurechnen, die während des russisch-türkischen Krieges auf Seiten der Russen gekämpft hatten. Sie führten für die Massaker an den Êzîden dieselben ´Argumente´ an, wie gegen die armenische Elite am 24. April 1915.

Auch die Aleviten gerieten ins Schussfeld der Türken. Weil sie die flüchtenden Armenier in der alevitisch geprägten Stadt Dersim aufnahmen, zogen sie den Zorn der Türken und muslimischer Kurden auf sich.

Weit über eine Millionen Menschen sind dem Völkermord so zum Opfer gefallen, der bis heute von der Türkei in einer menschenverachtenden Art und Weise verleugnet wird.

Mit den Aramäern und Assyrern verbindet die Êzîden eine tiefe Freundschaft, die auch der armenische Staatspräsident erst kürzlich wieder betonte. Der êzîdîsche Generäle Jangir Akha (kurd. Cangîr Axa), der mit mehreren êzîdîschen Stämmen auf Seiten der Armenier kämpfte, wurde in Armenien zum ´Freund der Nation´ erklärt. Bereits im 19. Jahrhundert waren Christen und Êzîden insbesondere im Gebiet Tur Abdin in der heutigen Türkei, Verbündete.

Der christliche Mönch Abdulmassih Karabasch schreibt in seinem Buch «Vergossenes Blut», seinen Memoiren, hierzu: „Die Êzîden mögen die Christen sehr; Sie sind edlen Charakters und gastfreundlich. Dies wurde offenbar bei ihrer Aufnahme der Christen und ganz besonders, als sie sich versammelten, um die Christen vor den Verfolgungen und den Blutbädern zu retten; sie gaben sogar ihr Leben für die Christen und ertrugen die Plünderungen ihrer Häuser, um die Christen zu schützen. Außer in Sindjar-Gebirge, unter dem Schutz der Êzîden, konnten sie nirgends Zuflucht finden.“

Êzîden versteckten armenische Flüchtlinge in ihren Häusern und nahmen besonders in ihrem Ballungszentrum Shingal im heutigen Nord-Irak über 20.000 christliche Flüchtlinge bei sich auf. Der legendäre êzîdîsche Volksheld Hemo Shero verweigerte die Auslieferung der Flüchtlinge, nachdem die Armee der Türken von der Aufnahme erfuhr. Die Êzîden zogen daraufhin gegen die Türken in den Krieg, konnten jedoch nur geringen Widerstand gegen die militärische Übermacht der Türken leisten und mussten viele Opfer hinnehmen.

„Êzîden nahmen während des Armenier Genozids 20.000 Christen bei sich auf, die bei den Êzîden bis zum Ende des Genozids verblieben. Die Êzîden weigerten sich, die Christen auszuliefern, wonach es zu einem erneuten Feldzug der Türken gegen sie kam. Die Êzîden griffen die Regierungstruppen vor Bagdad an, jedoch ohne Erfolg. Sie wurden zurückgeschlagen und mussten sich in die Berge zurückziehen, wo sie jedoch weiterhin Widerstand leisteten“, schreibt der französische Orientalist Roger Lescot in seinem Buch 2 ENQUÊTE SUR LES YÉZIDIS DE SYRIE ET DU DJEBEL SINDJÂR, BEYROUTH 1938, S. 127F.2

Tragodie 1Die Êzîden lieferten die Armenier dennoch nicht aus. Stark in Erinnerung der Êzîden sind die Schlachten mit den Türken in den Regionen Tschobohli, Ute, Tutak, Tandurak, Awa Rasch, Ramakuli, Sinak, Gridach, Sor, Derdshamad, Alaschgir, Ahbaran u.a. geblieben. Und auch die verfolgten Êzîden in den kommenden Jahrzehnten nach dem Völkermord konnten sich der Hilfe ihrer aramäischen und assyrischen Freunde sicher sein. Vielfach nahmen Aramäer und Assyrer die Êzîden bei sich auf.

Tausende Êzîden wurden während des Völkermordes massakriert und flüchteten entweder nach Shingal oder zusammen mit den Christen nach Armenien und Georgien. Besonders erschütternd war für Êzîden die Beteiligung muslimischer (sunnitischer) Kurden an dem Völkermord. Die kurdische Hamidiye-Reiterei beteiligte sich aktiv auf Seiten der Osmanen/Jungtürken und tötete Armenier wie Êzîden. Schon in den Jahren zuvor – besonders im Jahr 1891 – beteiligte sich die Hamidiye-Reiterei mit dem osmanischen General Whabi Omar Pascha an einem der folgenreichsten Massaker an Êzîden in Shingal. Zu oft wird der Relativierungsversuch unternommen, die Beteiligung der Kurden auf die Hamidiye Reiterei, einer Milizionären Kraft, zu reduzieren. Wahr ist aber, dass die kurdisch-muslimischen Stämme, die die Regionen mehrheitlich besiedelten, sowohl die Hamidiye-Reiterei als auch die Jungtürken gewähren ließen und sie unterstützten – ganz im Sinne des Zeitgeistes. Später kämpften sie schließlich auf Seiten der Jungtürken für die Unabhängigkeit der Türkei, ehe sie von Mustafa Kemal hintergangen worden sind. Immer wieder erzählten uns ältere Êzîden, das kurdisch-muslimischen Zivilisten damit prahlten, Armenier ermordet zu habe. Der Großvater einer unserer Redakteure erinnert sich an einen Kurden, der angeblich „eigenhändig 300 Armenier getötet“ haben will. Wer sieben Armenier tötete, kommt ins Paradies hieß es oft. Viele Überlebende des Völkermordes haben daher die Kurden neben den Türken immer wieder für den Genozid verantwortlich gemacht. Dies ist auch der Grund für das schwer belastete Verhältnis der Armenier und muslimische Kurden. Es ist nicht unsere Absicht, das kurdische Volk zu diskreditieren, schließlich waren andere Kurden auch Opfer des Völkermordes.

„Der Schmerz der Armenier ist auch unser“, heißt es daher aus der Chefredaktion von êzîdîPress. Wir wünschen uns, dass sowohl unsere christlichen Geschwister die Armenier als auch die Êzîden irgendwann Frieden finden. Dafür ist es unerlässlich, dass der Völkermord vollumfänglich international und besonders von den Tätern – der Türkei – anerkannt wird. Deutschland hat gezeigt, wie man souverän mit einem schwarzen Kapitel der Menschheitsgeschichte und den eigenen Fehlern umgehen muss. Die halbherzige, politisch motivierte und informelle Entschuldigung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan für die „Vertreibung der Armenier“ ist nur weiteres Öl im Feuer, das den Schmerz der Nachfahren der Opfer nur verschlimmert und Teil der Verschleierungsagenda der türkischen Regierung ist.

Aghet – die Katastrophe, wie der Völkermord von den Armeniern genannt wird – bleibt auch im Jahr 99 als mahnendes Beispiel unvergessen.

êzîdîPress, 24.04.2014