Fluchtartige verlassen derzeit viele Êzîden das Flüchtlingslager nahe Akrê
Fluchtartige verlassen derzeit viele Êzîden das Flüchtlingslager nahe Akrê


Akrê. Nachdem es vergangenen Freitag in einem Flüchtlingslager nahe der kurdischen Stadt Akrê im Nordirak zu Ausschreitungen zwischen muslimischen Kurden und êzîdîschen Flüchtlingen kam, dürfte nun die Ursache dieser Auseinandersetzungen geklärt sein. Im Flüchtlingslager von Mamilyan, dem Ort des Geschehens, sind derzeit etwa 12.000 Flüchtlinge untergebracht, darunter rund 9.000 Êzîden aus Shingal sowie 3.000 kurdische Muslime, die aus der irakischen Metropole Mossul geflüchtet waren.

LageMamilianLagerEin ÊzîdîPress-Korrespondent suchte das Flüchtlingslager auf und vergewisserte sich über den Hergang dieses Vorfalls. Die Campleitung ließ mitteilen, dass kurdische Muslime im Lager den Wunsch geäußert hätten, auf dem Gelände des Flüchtlingscamps eine Moschee zu errichten. Gegen dieses Vorhaben sträubten sich allerdings die im Camp lebenden êzîdîschen Flüchtlinge, welche keinen einleuchtenden Anlass in einem solchen Bau sahen, existieren in der Region bereits hunderte Moscheen. Der Ruf des Muezzins würde zudem die traumatisierten êzîdîschen Frauen und Kinder, die vor der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) aus Shingal flüchten mussten, emotional weiter belasten.

Am Freitagmorgen entbrannte dann schließlich ein verbaler Schlagabtausch zwischen im Camp lebenden Mitgliedern der kurdischen Schabak-, Zebari- und Harky-Stämme, und den Êzîden. Bis zum Mittag soll die hitzige Diskussion angehalten haben. Wenig später kontaktierten die muslimischen Kurden im Lager ihre in der umliegenden Region ansässigen Stammesmitglieder, welche daraufhin zu Hunderten und bewaffnet zum Flüchtlingslager eilten und es umstellten. Dabei wurden auch Schüsse in die Luft abgegeben, wie mehrere Flüchtlinge bestätigten.

„Die Kurden haben ihre Verwandten und Stammesmitglieder in den Dörfern mobilisiert, welche dann das Lager umzingelten. Sie waren bewaffnet, gaben auch Schüsse über dem Lager ab und skandierten Rufe der DAESH-Terroristen [arabisches Akronym für IS; Anm. d. Red.]. Als sie uns laut zuriefen, sie würden mit uns dasselbe tun wie der IS, begannen die êzîdîschen Familien ihre Kinder und Töchter aus Angst zu verstecken“, schildert ein êzîdîscher Flüchtling das Geschehen.

An mehreren Orten drang der Mob schließlich in das Flüchtlingslager ein, woraufhin die Lage eskalierte. Zwei Êzîden wurden schwer verletzt und mussten im Krankenhaus behandelt werden. Weitere êzîdîsche Flüchtlinge kamen mit leichten Verletzungen davon. Erst als Sicherheitskräfte und Peshmerga in das Lager vordrangen, löste sich der Mob auf. Die Sicherheitskräfte riegelten das Lager bis zum nächsten Tag vollständig ab, da weitere Zusammenstöße nicht ausgeschlossen werden konnten.

Êzîdîsche Flüchtlinge im Mamilian-Flüchtlingslager im Nordirak (ÊP)
Êzîdîsche Flüchtlinge im Mamilian-Flüchtlingslager im Nordirak (ÊP)


Der Zebarî-Stamm etwa attackierte und umstellte bereits 2013 das assyrische Dorf Rabatki nahe Akrê. Wie am vergangenen Freitag, gaben Mitglieder dieses Stammes Schüsse über dem Dorf ab, um die nicht-muslimischen Dorfbewohner einzuschüchtern. Auch der große Harky-Stamm gilt weithin als islamisch-konservativ. Die Mehrheit der kurdischen Bevölkerung im Nordirak nahm die im August vergangenen Jahres flüchtenden Êzîden aus Shingal offen auf und versorgte sie über Wochen hinweg. Dennoch flammen immer wieder Konflikte auf.


Mehrere êzîdîsche Familien haben das Flüchtlingslager bereits fluchtartig verlassen. Anders als die Flüchtlingslager in Sharya, Esiya, Baadrê oder Khankê nahe der kurdischen Stadt Duhok, liegt das Mamilyan-Flüchtlingslager in keinem von mehrheitlich Êzîden bewohnten Gebiet.

Die êzîdîsche Parlamentsabgeordnete Vian Dakhil besichtigte heute nach den Ausschreitungen das Mamilyan-Flüchtlingslager in Akrê und versprach den Êzîden, sie in ein anderes Lager umzusiedeln. Die Êziden sollen nun in das derzeit neu errichtete Flüchtlingslager Memê Reshan in der Region Sheikhan verlegt werden.

© ÊzîdîPress, 26. September 2015